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Diskutieren ohne TÜV

„Ich bin wirklich beeindruckt, wie viele schlaue Köpfe hier sind – und ich bin nicht leicht zu beeindrucken!“, schwärmt ein Teilnehmer des BarCamps. Die Versammlung im Hörsaal der Orthopädie-Technik-Schule ist gut gelaunt und nickt beipflichtend zu dieser Feststellung. Vorher wurde stundenlang vor schönster Dortmunder Winterkulisse gefachsimpelt, diskutiert und geplant. Bei der Veranstaltung „HelpCamps“ wurden die Belange von Menschen mit Behinderung in den Mittelpunkt gestellt. Dafür ist die Traumkombination aus Wissenschaftlern, Makern, Technikern und Betroffenen zusammengekommen, um sich die klugen Köpfchen zu zerbrechen. Kurz nach der RehaCare bin ich auf das Projekt aufmerksam geworden, habe es fleißig verbloggt und bin voller Vorfreude am vergangenen Samstag angereist.

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Kaum angekommen, bin ich auch schon mitten im Geschehen. Meine kleine Hilfsmittelsammlung hat es zusammen mit mir in die Präsentation der beiden fröhlich moderierenden Frauen geschafft (siehe Beweisbild). Nachdem das Konzept kurz erklärt ist, werden die Themenvorschläge im Plenum gesammelt. Hier wird das kreative Potenzial dieses BarCamps deutlich. Eine Teilnehmerin wünscht sich eine Prothese „to go“, ein Anderer möchte über Rollstuhlbasteleien „ohne TÜV“ reden. Super spannend auch die Runde zu den Wearables, die sicher in der Zukunft eine immer größere Rolle spielen werden. Selbst habe ich mich mit der Frage nach barrierefreiem Zocken und der Idee einer zentralen Anlaufstation im Netz für DIY-Hilfsmittel eingebracht. Ja, letzteres soll Makers Help Care schon sein, doch mit etwas Unterstützung in Form von Geld und professioneller Programmierung, kann die Idee dieses kleinen Blogs zu einem schicken Portal werden. Wäre es nicht ein Traum, wenn das Schwarmtalent des Internets irgendwann neben den etablierten Sanitätshäusern für perfekt angepasste Hilfsmittel sorgt? Dazu aber später mehr. Mein Brainstorming-Marathon beginnt mit dem Workshop zum „inklusiven Spielzeug“. Dahin hat es mich verschlagen, da ich gerade durch die Lieferung adaptierten Spielzeugs so schön im Thema bin.

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Der Stundenplan! Viele interessante Beiträge, leider konnte ich nur einen pro Block besuchen. Foto: HelpCamps

Nach einer kleinen Schnitzeljagd durch das Gebäude (die Räume waren mit Richtungspfeilen über mehrere Ecken ausgeschildert) finde ich mich in einem kleinen Sitzkreis mit Flipchart und Beamer wieder. Wir sind zwar nur eine handvoll Menschen, doch jeder mit einem eigenen Blickwinkel zu inklusivem Spielzeug. Wie kann digitales Spielen mit einer Sehbehinderung funktionieren? Wie wird Spielen auch pädagogisch wertvoll für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen? Wie kann Teilhabe am Spiel bei einer körperlichen Behinderung aussehen? Ein wirklich spannender Austausch über ein großes Feld. Die Diskussion einzufangen und eine konkrete Idee zu fassen zu bekommen, ist uns leider nicht gelungen. Trotzdem habe ich viel gelernt!

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Digitales Spielen mit Behinderung: Da gibt’s schon was im Internet!

Nach eine stockwerkübergreifenden Suche finde ich mich in einem komplett verkachelten Raum wieder. „Bin ich in der Küche gelandet?“, frage ich mich noch, bis mir ein Licht aufgeht. Da die Veranstaltung in der Orthopädie-Schule stattfindet, befinde ich mich im Gips-Raum. Ich blicke jedoch nicht auf weiß verpackte Menschen, sondern in die Linse einer Kamera. „Sind wir im Fernsehen?“, scherze ich und bekomme die Antwort: „Nein, nur Facebook.“ Achso, der Live-Stream. Den gab es auch schon bei der Einführung. Da saß ich allerdings noch eine Bankreihe hinter dem Objektiv. Wer möchte kann sich auf der HelpCamps-Facebook-Seite die (fast) komplette Diskussionsrunde zu Gemüte führen. Dort sitzt der Christian neben mir. Er bedient seinen Computer mit dem Mund und kennt sich sehr gut mit Ansteuerungsmethoden aus. Es wird groß geträumt und am Ende steht der Plan für ein modulares Hilfsmittel, das alle Anwendungen an PC und Konsole steuern kann. Natürlich Open-Source! Ist das schon eine Produktidee? Der Aufwand wäre gewaltig hier etwas nachhaltiges zu stemmen. Der Ertrag wäre riesig und die Zielgruppe sicher sehr dankbar. Ein spannendes Thema um am Ball zu bleiben. Vieles bietet davon schon der Quad-Stick. Dazu hat sich dankenswerter Weise der Dennis (aus der Aktion-Mensch-Werbung) bereit erklärt uns über Telefon ein paar Fragen zu beantworten. Ein Hoch auf das digitale Zeitalter mit Live-Stream und Smartphone. Übrigens ist Dennis auch ein echter Zocker, nicht nur am Schachbrett. Habe ich nicht auch schon mal was zum „Gaming für alle“ gebloggt?

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Vor dem letzten Block (jetzt habe ich doch tatsächlich erst Blog getippt…) darf ich noch ein paar Fragen in die Kamera beantworten. „Kommt es jetzt ins Fernsehen?“, reite ich den ausgelutschten Gag ein weiteres Mal. „Nee, nur auf YouTube“, bekomme ich als Antwort und bevor ich zuende überlegen kann, ob dass zu Facebook jetzt eine Steigerung ist, habe ich schon das Mirkofon vorm Bart. „Super Veranstaltung … tolle Diskussionen … viele Denkanstöße“, haspele ich in die Linse. Nicken, lachen, Scherze und ein Foto für die Nachwelt. Das Team von Matrix macht hier einen großen Job ohne dabei die Lockerheit zu verlieren. Großes Lob. Dann geht es den roten Pfeilen hinterher zur Abschlußrunde.

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Die letzte „Session“ wurde dankenswerterweise Makers Help Care genannt. Ich habe sie eingebracht, weil es mein Antrieb für dieses Blog war die Lücke einer Anlaufstelle für Hilfsmittel im Netz zu schließen. Allerdings kann eine kuratierte Linksammlung nur ein Teil des Portals sein, dass der kleinen Gruppe vorschwebte. Viel mehr muss es eine Seite sein, die den Austausch weit in den Vordergrund rückt. Dort sind dann nicht nur die bereits vorhandenen Webseiten verlinkt, sondern es gibt eine Community, die sich den „dornigen Chancen“ annimmt und aktiv wird. Entweder durch das Anpassen vorhandener Lösungen (wie die Protehesen von e-Nable) oder durch das Anpacken eines Problems (vielleicht so wie meine Getränkehalterbastelein?). Befeuert wird das Ganze dann durch Wettbewerbe, die für die beste Lösung attraktive Preise bietet, wie es jetzt schon Webseiten wie Instructables oder Thingiverse machen. Vermutlich wird die Idee nur durch eine Finanzierung wirklich die Fahrt aufnehmen, die sie braucht, um bekannt genug zu werden. Hierfür könnten Crowdfunding und Partnerschaften in Frage kommen. Die Präsentation zu der Idee ergab im abschließendem Plenum noch ein paar Mitstreiter mehr. So rief Christian aus dem Publikum: „Ey, ich bin doch Webentwickler!“

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Nach der Präsentation im Hörsaal (übrigens auch bei den Live-Streams auf Facebook dabei) ist zwar der offizielle Teil des Tages vorbei, doch die Idee von HelpCamps ist noch nicht am Ende. Am 2. und 3. März wird es einen Hackerthon geben, bei dem es die andiskutierten Projektideen in die Realität schaffen sollen. In der Zwischenzeit darf weiter gearbeitet werden. An dem Termin sind noch zusätzliche Maker und Gerätschaften vorhanden, damit es nach Möglichkeit ein Prototyp ans Licht der Welt schafft. Eine aufregende Aussicht. Was wird die zündende Idee des HelpCamps? Im März wissen wir mehr…

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Eine rundum gelungene Veranstaltung. Die erste für mich dieser Art. Es waren drei sehr intensive Gesprächsrunden, da ich jedesmal in relativ kleinen Gruppen unterwegs war. So gerät jeder mit jedem sehr intensiv in den Austausch, was bei der Komplexität der Themen ein echter Vorteil ist. Dabei ist mir etwas aufgefallen, was ich auf der Hinfahrt noch gar nicht so sehr im Blick hatte: Die vielen genialen Menschen, die dabei sind! Nicht nur das herzliche Wiedersehen mit Cinderella und Niels, Isa von be-able und Lars von e-Nable, oder dass persönliche Treffen mit Sercan von threedom oder mit Bastian und Max von Selfmade, sondern natürlich mindestens genauso die vielen neuen Bekanntschaften, die ich machen durfte. Ich bin gemeinsam mit Dennis aus Paderborn angereist, der die Uni vertrat. Bei der Verabschiedung in Paderborn sagte er noch: „Wir hören voneinander.“ Das gilt hoffentlich für alle Teilnehmer in Dortmund. Ich kann es jedenfalls kaum erwarten!